Was tun, wenn wir warten müssen? Die Frage stellt sich jedem und jeder, der und die schon mal gewartet hat – auf den Bus, den Zug, den Aufzug. Durchschnittlich ein bis zwei Jahre unseres Lebens verbringen wir wartend, haben Forscher festgestellt.
Ein besseres Warten
Was wir aber beim Warten machen, ist komplizierter als gedacht. Denn es gibt Warten und Warten. Die Wartezeit hängt stark vom subjektiven Empfinden ab. Es gibt das emotional stark aufgeladene Warten, wenn ein Mensch nach langer Abwesenheit wieder zurückkehrt. Anders, wenn es darum geht, beim Zahnarzt darauf zu warten, dass die Betäubungsspritze einsetzt.
Die Wartezeit auf den Bus oder den Aufzug wird scheinbar länger, wenn ein dringender Termin ansteht. Andersherum: Ist die subjektive Gefühlslage entspannter, dann fällt auch das Warten leichter. Dabei ist das Warten eigentlich mit der Pause verwandt. Beide sind Auszeiten, in denen relativ wenig passiert. Pausen jedoch sind willkommen. Das Warten dagegen empfinden viele Menschen in unserer heutigen Industriegesellschaft als verlorene Zeit.
Hibbel-Kultur: Warum fällt es uns so schwer, zu warten?
Der berühmte Marshmallow-Test des US-Psychologen Walter Mischel zeigt, wie schwer uns das Warten schon in der Kindheit fällt. Er bot in den 1960er-Jahren kleinen Kindern in den USA eine Süßigkeit an und stellte sie vor eine Wahl: Entweder sie naschen sofort oder sie warten eine Viertelstunde und erhalten später ein zweites Stück. Im Ergebnis akzeptierte nur jedes dritte Kind diesen Belohnungsaufschub. Zwei von drei Kindern futterte sofort los. Was man hat, hat man – dieses Motto prägt uns von frühester Kindheit an.
Nicht so in anderen Kulturen: Denn den Marshmallow-Test wiederholte die Psychologin Dr. Bettina Lamm im Jahr 2014, diesmal aber mit Kindern aus Deutschland und Kamerun. Während die deutschen Kinder ähnlich ungeduldig wie die US-Kinder waren, konnten bei den Kindern aus Kamerun zwei von drei die Belohnung abwarten. Für die Psychologin lag das an einem unterschiedlichen Verständnis von Zeit.
Mehr Gelassenheit im Wartezimmer – so geht’s
Wie aber lässt sich in unserer auf Effizienz und Information getrimmten Gesellschaft der Umgang mit oft unausweichlichen Wartezeiten verbessern? Beispiele für eine erfolgreiche Veränderung gibt es aus Arztpraxen: Forscher haben festgestellt, dass die Wartezeit vor der Behandlung darüber entscheidet, wie die Patienten den Besuch beim Arzt insgesamt empfinden. Dabei ist nicht die tatsächliche Wartezeit ausschlaggebend, sondern die subjektiv gefühlte.
Ärzte wenden daher verschiedene Methoden an, um die Wartezeit des Patienten besser zu gestalten oder gefühlt zu verkürzen: Aktuelle Zeitschriften, ein Fernseher oder ein frei zugängliches und vor allem funktionierendes WLAN verringern nachweislich die Ungeduld im Wartezimmer. Vor allem Bilder, Gemälde oder Videos mit Naturmotiven reduzieren Unruhe, den Stresslevel und den Lärmpegel.
So lässt sich die empfundene Wartezeit am Aufzug verkürzen
Auch in Hochhäusern gibt es Hilfsmittel, um die als lästig empfundene Wartezeit zu verkürzen. Rund 30 Sekunden warten Fahrgäste im Durchschnitt auf den Aufzug, hat der Aufzughersteller Schindler herausgefunden. Zugleich – das wissen Psychologen – ist das auch der Zeitraum, nach dem Menschen langsam ungeduldig werden. Vor allem die Unsicherheit, welcher Aufzug kommen wird, treibt die Nervosität, wenn sie nicht wissen, welcher Fahrstuhl wann kommen wird.
Ein Mittel zur Verkürzung der Wartezeit ist die Zielwahlsteuerung: Die Aufzugsteuerung schickt auf Anforderung genau den Aufzug los, der am schnellsten am Einstieg sein kann. Künstliche Intelligenz sorgt außerdem dafür, dass Stoßzeiten immer stärker berücksichtigt werden können und so das System noch zielgenauer wird.

Wirksam sind auch Anzeigetafeln, die die voraussichtliche Ankunftszeit der Kabine angeben. Das erprobte Mittel reduziert die Unsicherheit der Fahrgäste und lässt die Wartezeit kürzer erscheinen.
Ablenkung beeinflusst unser Zeitempfinden
Ein besonders wirksames Mittel gegen Ungeduld ist Ablenkung, zum Beispiel durch einen Begleiter. Studien aus China haben gezeigt, dass Menschen an Bushaltestellen die Wartezeit als kürzer empfanden, wenn sie sich mit einem Begleiter unterhalten konnten. Ähnlich wirken Infoscreens oder Plakate. Anders al sim wartezimmer mit oft minutenlangen Wartezeiten sind an Aufzügen weniger Naturmotive, sondern kurze Clips oder starke visuelle Eindrücke gefragt. Sie verkürzen durch einen angenehmen Überraschungseffekt die Wartezeit. Gleichzeitig verringern sie den Stress, der beim Warten in einer Menschenmenge entsteht, und führen insgesamt zu einem angenehmeren Warte- und Mobilitätserlebnis.
An Bushaltestellen hat sich dieses Mittel schon bewährt. Eine Umfrage des Außenwerbe-Unternehmens JCDecaux zeigt: Zwei Drittel der Befragten lassen sich gerne ablenken. Sie schauen sich die Plakate an, die an der Bushaltestelle hängen. Einige treten sogar in Interaktion, indem sie QR-Codes fotografieren, sich über Angebote informieren oder beworbene Produkte teilen oder bestellen.
Äußere Umstände bestimmen die Ablenkung
Technisch ist über die Handy-Daten sogar personalisierte Werbung denkbar – und damit eine noch individuellere Ansprache. Doch für Außenwerber wie JCDecaux sind andere Faktoren wichtiger für den Werbeerfolg. „Was zunehmen wird, sind Anzeigen, die Werbung anhand der äußeren Umstände platzieren: abhängig vom Wetter oder einer Veranstaltungen in der Nähe zum Beispiel“, sagte Jean-François Decaux, Miteigentümer und Chef von JCDecaux, Weltmarktführer für Stadtmöbel und Außenwerbung, im Interview mit dem Tagesspiegel.
Nebenbei haben solche Angebote noch eine Zusatzwirkung: Für den Werbenden und den Aufsteller sind sie sehr attraktiv. Denn anders als Werbung im Fernsehen, Internet und auf Social-Media-Kanälen muss sich ein Plakat oder Screen nicht in einer Informationsflut behaupten. Sondern allein und ungestört von Adblockern und anderen Werbewirkungsbrechern wirkt das Plakat oder der Screen. Die Fahrgäste nehmen gut gemachte Werbung wahr – und empfinden sie zumindest als Ablenkung. Das Warten kann für sie zum Amüsement werden.
Der Beitrag Was uns dabei hilft, Wartezeiten auszuhalten erschien zuerst auf Senkrechtstarter Blog.